Auf der Internetseite der Marburger Universität ist folgendes über den
Aufenthalt Lomonossows in Marburg zu lesen:
Die Marburger Studienzeit des russischen
Universalgelehrten Michail Lomonossow
Am
3. November 1736 nahm Christian Wolff, bedeutender Philosoph der frühen
Aufklärung und herausragender Universalgelehrter, in Marburg drei russische
Studenten in Empfang. Sie hatten eine zwei Monate dauernde beschwerliche Reise
hinter sich, während der Michail Lomonossow beinahe ertrunken wäre. Johann
Albrecht Baron Korff, Präsident der Akademie der Wissenschaften in St.
Petersburg, hatte ihn zusammen mit Gustav Adolf Reiser und Dimitri Winogradow
entsandt, um an der Bergakademie im sächsischen Freiberg Chemie und Bergbau zu
studieren. Doch zuvor sollten die jungen Männer zwei Jahre lang in Marburg eine
umfassendere Allgemeinbildung und besonders Kenntnisse des Deutschen und
Lateinischen vermittelt bekommen – mit der ausdrücklichen Instruktion der St.
Petersburger Akademie, dass sie „überall während ihres Aufenthalts sich
tadelloser Sitten und Benehmens befleißigen sollten“. Ferner sollten sie „ebenso
um Vervollkommnung ihres Wissens ständig bemüht sein“.
In der Tat bildete das in Marburg erworbene Wissen das
Fundament für Lomonossows spätere Laufbahn als russischer Universalgelehrter und
Mitbegründer der ersten russischen Universität. Doch sein Benehmen konnte man
nicht gerade als „tadellos“ bezeichnen: Der 25-jährige Michail teilte mit seinen
beiden Kommilitonen die Vorliebe für einen überaus ausschweifenden Lebensstil.
Dank der zahlreichen und ausführlichen Berichte, die Wolff über seine
Schützlinge an Korff schickte, haben sich Informationen über diese Phase aus der
Biographie Lomonossows recht detailliert bis in die Gegenwart erhalten. Lobte
Wolff im September 1737 noch, dass die russischen Studenten Fortschritte in
standes- und zeitgemäßen Umgangsformen gemacht hätten, so deutete sein Brief zu
Ende des Wintersemesters 1737/38 an, in welch finanzieller Notlage sie sich
durch ihr eigenes Verschulden befanden: „Wenn an die Rußischen Herren Studiosos
eine Ermahnung erfolgte, daß sie wohl haushalten möchten, damit nicht bey Ihrem
Abzuge sich Schulden findeten, die denselben aufhielten, könnte es wohl nicht
schaden“, schrieb Wolff nach St. Petersburg. Ein Jahr später bat er gar darum,
dass man die drei Studenten möglichst bald nach Hause zurückbeordere – „weil sie
die academische Freiheit nicht zu gebrauchen wißen“.
Verwunderlich ist es nicht, dass Lomonossow und seine beiden
Kommilitonen über die Stränge geschlagen haben, denn mit der St. Petersburger
Akademie hatten sie eine strenge Aufsicht und im Vergleich zu Marburg
bescheidene Verhältnisse hinter sich gelassen. Für die Zeit des Studiums in
Marburg bekam jeder einen großzügigen Betrag zugewiesen, doch selbst dieser
erwies sich bald als unzureichend: Unterkunft, Verpflegung und Privatlehrer
mussten bezahlt werden, dazu kamen Kosten für Unterricht im Fechten und für die
Anschaffung eines Degens, der damals ständiger Begleiter eines jeden Studenten
war. Der wahre Grund aber, warum die drei jungen Russen bis zu ihrer Abreise
nach Freiberg im Jahr 1739 gemeinsam bei diversen Gläubigern Schulden in Höhe
von 1936 Reichstalern angehäuft hatten (zum Vergleich: Wolff bekam als
renommierter Gelehrter bei seiner Berufung nach Marburg ein Jahresgehalt von
1000 Talern), offenbarte sich erst im Nachhinein: „Denn sie sind der Wollust zu
sehr ergeben gewesen und haben sich an Weibs-Personen gehangen. Weil sie hier
gewesen, hat sich jedermann gefürchtet, etwas zu sagen, weil sie durch ihre
Drohungen die Leute in Furcht gehalten. Ich bin durch ihre Abreise vieler Sorgen
befreyet“, gestand Wolff in einem Brief an Korff.
Auch
Lomonossow war in „Streithändel“ verwickelt gewesen. Bereits im Herbst 1737
landete er beinahe für drei Tage im Karzer, doch Wolff bewahrte ihn davor durch
die Zahlung einer „Redemtion“ von drei Talern. Erklären lässt sich das nicht nur
mit dem ausgeprägten Verantwortungsbewusstsein, das Wolff gegenüber seinen
Schützlingen hatte. Mit Lomonossow hatte er trotz dessen Schulden und
Ausschweifungen ein sehr gutes Verhältnis; zusätzlich zum täglichen Mittagsmahl
verbrachte Lomonossow auch bald die Abendessen bei Wolff. Der Lehrmeister sah
seinen Studenten als „aufgewecktesten Kopf“ unter den dreien, der sich „zu
milderen Sitten“ bequeme und „grosze Lust und Begierde“ zeige, so viel wie
möglich zu lernen. Lomonossow studierte in Marburg Philosophie, Arithmetik,
Geometrie, Trigonometrie, Mechanik, Hydrostatik, Aerometrie, Hydraulik, Chemie,
Physik, Naturgeschichte sowie ein wenig Französisch, aber auch Fechten, Tanzen
und Zeichnen. Außerdem las er Literatur über Poetik und Rhetorik; die
Anschaffung von Büchern war einer der größeren Posten in der langen Liste seiner
Ausgaben.
Im Juli 1739 fällte Wolff ein überaus positives Urteil über
den Studenten Lomonossow: „Der mit außerordentlichem Scharfsinn begabte junge
Michail Lomonosov hat seit der Zeit, da er zum Studium nach Marburg kam, häufig
meine mathematischen, philosophischen und insbesondere die Vorlesungen über
Physik gehört und war der Grundlagenlehre über alle Maßen zugetan. Wenn er sich
auch in Zukunft mit solchem Fleiß fortentwickelt, so zweifle ich nicht daran,
daß er nach seiner Rückkehr in sein Vaterland Nutzen daraus ziehen wird, was ich
von Herzen wünsche.“
Wie heute bekannt ist, ging Wolffs Wunsch in Erfüllung. Die
Marburger Zeit beeinflusste Lomonossow und mit ihm die Entwicklung der
Wissenschaftslandschaft in Russland erheblich. Lomonossow wurde der erste
russische Professor an der Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg, an der
zuvor nur ausländische, vorwiegend deutsche, Wissenschaftler gelehrt hatten.
Seine Übersetzung der lateinischen Kurzfassung von Christian Wolffs
Experimentalphysik war das erste systematische Lehrbuch für dieses Fach in
russischer Sprache und hatte somit eine ausgeprägte Vorbildfunktion.
Lomonossow zur Rückkehr nach St. Petersburg zu bewegen, war
jedoch nicht leicht gewesen. Nach einem nur ein Jahr dauernden Intermezzo am
eigentlichen Zielort, dem sächsischen Freiberg, kehrte er eigenmächtig nach
Marburg zurück, ohne sich die Erlaubnis der St. Petersburger Akademie einzuholen
und heiratete am 6. Juni 1940 Elisabeth Christine Zilch, die Tochter seines
ehemaligen Hauswirts. Erst nach einigen Wirren inklusive eines unfreiwilligen
Abenteuers als angeworbener preußischer Soldat und nach zahlreichen
schriftlichen Verfügungen der Akademie, in der Lomonossow unmissverständlich zur
Rückkehr aufgefordert wurde, machte er sich 1741 auf den Heimweg. Lomonossow
starb 1765 im Alter von 54 Jahren.
Quelle: Sabine Trautmann:
http://www.uni-marburg.de/profil/Geschichte/Viten/lomonossov,
Zuletzt aktualisiert: 14.10.2008 von Viola Düwert.