Die Ergebnisse der
wissenschaftlichen Tätigkeit von M.W. Lomonossow
Geschichte und Wirtschaft
Zur Entwicklung der vaterländischen Geschichtswissenschaft hat
auch Lomonossow sein Scherflein beigetragen. Das Interesse für die
vaterländische Geschichte erwachte in Lomonossow bereits in der Jugendzeit.
Seine historischen Werke umfassen einen weiten Fragenkreis von uralter
russischer Geschichte bis zu einschließlich Peter I. Mit Lomonossows
historischen Werken beginnt die sogenannte antinormannische Richtung in der
russischen Historiographie. Diese Richtung wird durch die genaue
Wissenschaftlichkeit, die demokratischen Tendenzen und Achtung vor den
Geschichten anderer Länder und Völker gekennzeichnet.
Laut der "normannischen Theorie" verdankt der russische Staat
seine Entstehung ausschließlich den fremdländischen Eroberen - Warägern. Dieser
Theorie lagen größtenteils die ausländischen Quellen, wie z. B. skandinavische
Sagas, zugrunde. Dabei wurden die Chroniken und andere russischen Dokumente
nicht genügend ausgenützt oder in nicht korrektem Sinne ausgelegt. In einer
Diskussion mit dem Geschichtsprofessor der Akademie der Wissenschaften G.
Miller, einem Anhänger der normannischen Theorie, widerlegte Lomonossow 1749
überzeugend diese falsche Theorie.
Anfang der 50er Jahre des 18. Jh. begann Lomonossow "Die
Uralte Russische Geschichte" zu verfassen. Er war sich der Schwierigkeiten und
der Verantwortlichkeit dieser Arbeit voll bewusst. Nach dem fleißigen und
sorgfältigen Sammeln der historischen Materialien hat Lomonossow 1758 den ersten
Band der "Russischen Geschichte" vorbereitet und in die akademische Druckerei
übergeben. Im nächsten Jahr aber nahm er das Manuskript zurück, um die Anordnung
der erläuternden Bemerkungen zu ändern. Die Arbeit zog sich in die Länge und das
Buch wurde nicht mehr zu Lebzeiten des Autors gedruckt. Das Werk wurde 1766, ein
Jahr nach dem Tode Lomonossows, unter dem Titel "Uralte Russische Geschichte von
Beginn des russischen Volkes an bis zu Ende des Großfürsten Jaroslaw des Ersten,
oder bis zum Jahr 1054" herausgegeben. Diese Arbeit wurde zum großen Ereignis in
der russischen Historiographie. Bei der Beleuchtung der ältesten Periode der
russischen Geschichte tritt Lomonossow als einer der ernsten Forscher auf, der
tiefe Kenntnisse von mehreren Quellen besitzt. Er hat viele Lehrsätze glänzend
bewiesen, die für die weitere Entwicklung der historischen Wissenschaft von
großer Bedeutung waren. Anhand von vielen gesammelten historischen Unterlagen
zeigte Lomonossow die Haltlosigkeit der sogenannten normannischen Theorie der
Erstehung des russischen Staats. Er unterstrich das tiefe Altertum der
slawischen Völker und die wichtige Rolle des Slawentums in der
gesamteuropäischen Geschichte. Lomonossow hat die originelle Idee ausgesprochen,
dass die Bevölkerung Russlands eine gemischte slawisch-peipussische Grundlage
haben sollte. Die "Uralte Russische Geschichte" von Lomonossow war populär
sowohl in Russland als auch im Ausland. Dieses Buch wurde 1768 ins Deutsche
übersetzt und 1769 ins Französische. Später wurde es zweimal (1773 und 1776)
wiederverlegt.
Unter den historischen Themen war die Geschichte Peters des
Großen das interessanteste für Lomonossow. Viele Jahre lang sammelte er die
entsprechenden Dokumente, um eine ernste Abhandlung zu schreiben. Das war eine
mühsame und verantwortungsreiche Arbeit. Ende der 50er Jahre mischte sich
unerwartet der Hauptvertreter der französischen Aufklärung des 18. Jh. Voltaire
in diese Arbeit ein. Was geschah? Es stellte sich heraus, dass sich die
Regierung der Kaiserin Elisabeth an Voltaire mit der Bitte wandte, die
"Geschichte des Russischen Reichs unter Peter dem Großen" zu verfassen. Voltaire
war damals als Autor der "Geschichte von Karl XII." berühmt. Voltaire aber hatte
nur schwache Vorstellung über russische Geschichte und besaß nicht die nötigen
Materialien zum petrinischen Thema. Deshalb bat er die regierenden Kreise
Russlands, ihm die historischen Dokumente und die Angaben über innere
Angelegenheiten Russlands zu schicken. Die Erfüllung der Bitte von Voltaire
wurde der Akademie der Wissenschaften und insbesondere dem Professor Lomonossow
auferlegt. Lomonossow sammelte den erforderlichen Stoff für den französischen
Schriftsteller und Philosophen und korrigierte zahlreiche Fehler und
Ungenauigkeiten in Voltaires Manuskript. Er hat die erläuternden Bemerkungen zum
ursprünglichen Text der ersten acht Kapitel zu Voltaires Arbeit geschrieben.
Unter den Materialien, die an Voltaire geschickt wurden, war das historische
Werk von Lomonossow "Die Beschreibung der Rebellionen von Strelitzen und der
Regierung von Zarewna Sophia". In diesem Werk hat Lomonossow eine
verallgemeinernde und ausführliche Geschichte der Ereignisse von 1692-1698
dargelegt. Voltaire hat in seinem Werk "Geschichte des Russischen Reichs unter
Peter dem Großen" die obengenannte Arbeit des russischen Gelehrten fast wörtlich
wiedergegeben. In der Anmerkung gab Voltaire die Erläuterung darüber, dass diese
Beschreibung "völlig den aus Petersburg zugeschickten Notizen entnommen ist".
Lomonossow war um das Wohlergehen seines Vaterlands immer
besorgt. Er beschäftigte sich auch mit den wirtschaftlichen Fragen. Die
bekannteste Arbeit von Lomonossow auf dem wirtschaftlichen Gebiet soll hier
erwähnt werden - sein Traktat "Über die Erhaltung und Vermehrung des russischen
Volkes", der 1761 geschrieben wurde. Der Traktat war ein wertvolles und
originelles Werk. Das Problem der Bevölkerungsvermehrung war damals sehr
wichtig. Die schweren Kriege von Peter I. waren zwar notwendig für das Land,
übten aber einen verderblichen Einfluss auf mehrere Wirtschaftszweige aus und
senkten die Bevölkerungszahl. Andererseits begann als Ergebnis der Reformen von
Peter I. die beschleunigte Entwicklung der Produktivkräfte Russlands. Die
Nachfrage nach Arbeitskräften hat sich erhöht. Die reguläre Armee und Marine
brauchten große Menschenreserven.
Der Wert der Lomonossows Arbeit "Über die Erhaltung und
Vermehrung des russischen Volkes" besteht darin, dass der Autor nicht nur die
Idee über Notwendigkeit und Nützlichkeit des Bevölkerungszuwachses aussagte,
sondern das weite Programm zur Entwicklung der Produktivkräfte Russlands
aufzeichnete. Das Programm wurde auf die Änderung der Lebens - und
Arbeitsbedingungen von Bauern und auf freie Entwicklung der Warenproduktion, der
Landwirtschaft, der Industrie und des Handels gerichtet.
Natürlich konnte das vom großen Gelehrten-Patrioten entworfene
Programm unter Verhältnissen der feudalleibeigenschaftlichen Ordnung im
damaligen Russland nicht realisiert werden. Nicht einmal teilweise.
Philologie, Literatur, Mosaikkunst
Lomonossows Werke auf diesem Gebiet bedeuteten einen neuen
Aufschwung der nationalen Kultur Russlands. Der Begründer der russischen
Literaturkritik W. Belinski (1811-1848) sagte, dass mit Lomonossow die russische
Literatur beginne. Es ist nicht möglich, die Entwicklung der russischen
Literatursprache, der Dichtung und der russischen Grammatik ohne Lomonossows
grundlegende Werke vorzustellen. Es genügt zu sagen, dass der Ruf Lomonossows
als Dichter in Russland und Europa vor seinem Rufe als Wissenschaftler entstand.
Seine literarischen Werke waren vielschichtig und umfassten Poesie, Prosa und
Übertragungen aus den Fremdsprachen ins Russische. In der russischen Dichtung
entwickelte Lomonossow den sogenannten tonischen, d.h. akzentierenden Versbau
anstatt des syllabischen. Er liebte seine schöne russische Muttersprache. Seiner
Überzeugung nach muss man bei der russischen Dichtung unbedingt den natürlichen
Eigenschaften der russischen Sprache Rechnung tragen und es vermeiden, etwas für
die russische Sprache nicht eigentümliches auszunutzen.
Dabei soll die russische Literatur seinen eigenen Weg gehen,
ohne sich von der ausländischen Literatur abzusondern.
Im Werk "Rhetorik" hat Lomonossow die Theorie der russischen
Prosa dargelegt. Diese Arbeit enthielt die Grundforderungen zur russischen
literarischen Sprache. Gleichzeitig arbeitete Lomonossow an der russischen
Grammatik. 1757 erschien sein geniales Werk "Russische Grammatik". Dieses Werk
war die erste wissenschaftliche Grammatik der russischen Sprache und wurde zum
populärsten Lehrbuch im 18. Jahrhundert. Mehrere Generationen der russischen
Menschen haben diesem Buch ihre Schriftkundigkeit zu verdanken.
Das literarische Erbe von Lomonossow ist groß: Gedichte, Oden,
Epigramme, Fabeln, öffentliche Reden, perfekte Übersetzungen von ausländischer
wissenschaftlicher und schöngeistiger Literatur u.a. Die Nachfolger Lomonossows
in Poesie, Prosa und Publizistik waren Dershwin, Radischew, Puschkin und die
Dichter-Dekabristen. Nachstehend möchten wir den berühmten Ausspruch Lomonossows
über die russische Sprache anführen: "... Karl der Fünfte, der römische
Imperator, sagte einst, es gehöre sich, in Spanisch mit dem Gott, in Französisch
mit den Freunden, in Deutsch mit dem Gegner, in Italienisch mit den Frauen zu
sprechen. Wäre er aber in der russischen Sprache bewandert, so fände er darin
die Pracht des Spanischen, die Lebhaftigkeit des Französischen, die Stärke des
Deutschen, die Zartheit des Italienischen und darüber hinaus den Reichtum und
die bildhafte Kürze des Griechischen und des Lateins ...".
Lomonossow besaß die großen künstlerischen Fähigkeiten. Davon
sprechen seine bekannten Mosaikarbeiten - Bilder und Porträts.
Das im alten Russland weitverbreitete Verfahren der
Mosaikproduktion ging bis zum 18. Jahrhundert verloren. Die Errichtung eines
chemischen Labors 1748 erlaubte es Lomonossow die Forschungen der Chemie und
Technologie der Silikate sowie die Arbeit an der Farbentheorie zu beginnen.
Lomonossow tat diese Arbeiten mit Mühe und Begeisterung gleichzeitig. Bereits im
März 1752 erledigte er seine erste künstlerische Mosaikarbeit, eine Darstellung
der Mutter Gottes. Dann folgten Porträts von Peter I. Allgemein anerkannt als
Meisterwerk der Mosaikkunst ist das Mosaikwerk "Schlacht von Poltawa", das von
Lomonossow zusammen mit seinen Schülern in Jahren zwischen 1761 und 1764
geschaffen wurde.
Dank den Bemühungen von Lomonossow wurde nicht weit von
Petersburg die Farbglasfabrik gebaut. Die Fabrik lieferte das Mosaikglas für die
Mosaikkunstwerke.
Damit, geehrte Leserinnen und Leser, haben wir nur einen
gedrängten Überblick über die unermessliche wissenschaftliche Erbschaft des
großen russischen Gelehrten Michail Wassiljewitsch Lomonossow gegeben.
Zweiundeinhalb Jahrhunderte vergingen seit jener Zeit, als der große Lomonossow
lebte und arbeitete, aber sein Name und seine Errungenschaften leben im
Völkergedächtnis fort. Bereits im 18. Jh. haben die fortschrittlichen Leute in
Russland und in Europa verstanden, dass Lomonossow der nationale Stolz und Ruhm
seines Vaterlandes war.
Der große Mathematiker des 18. Jh. Leonhard Euler begriff die
Maßstäbe des Verstandes von Lomonossow und die Tiefe seiner wissenschaftlichen
Verallgemeinerungen, indem er "die glückliche Fähigkeit von Lomonossow, die
Grenzen der wahren Erkenntnis der Natur zu verbreiten", hervorgehoben hatte.
Der bedeutende deutsche Physiker Christian Wolf sah in
Lomonossow "eine der hellsten Hoffnungen der russischen Wissenschaft".
Wahrscheinlich am treffendsten formulierte aber Alexander
Puschkin: "Lomonossow war der große Mann. Zwischen Peter I. und Katharina II.
ist er ein eigenartiger Mitstreiter der Volksbildung. Er hat die erste
Universität gegründet. Besser zu sagen, war er selber unsere erste Universität".
Den Namen von Lomonossow tragen die Moskauer
Staatsuniversität, Städte und Dörfer, Straßen und Plätze, der
Unterseegebirgsrücken im Eismeer, ein Krater auf der Rückseite des Mondes,
äquatoriale Strömung im Atlantik, eines der Mineralien und einer der kleinen
Planeten des Sonnensystems.
Lomonossows Verdienste in der Wissenschaft sind unermesslich. Wer von den
Gelehrten der Vergangenheit und der Gegenwart darf neben Lomonossow stehen?
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