Der Weg in die Wissenschaft.
1731
beginnt Lomonossow seinen beschwerlichen Weg in die Wissenschaft. Die
Schwierigkeiten beginnen bereits bei den Vorbereitungen zur Abreise nach Moskau.
Michailo (so wurde er in der Familie genannt) hatte keinen Pass, kein Geld und
nicht einmal passende Kleidung. Seine Flucht aus dem Vatershaus hat er natürlich
heimlich vorbereitet. Landsleute haben ihm geholfen, in der Wojewoden-Kanzlei
Cholmogory einen Pass zu erhalten. Der Pass gab dem Besitzer die Möglichkeit von
Dezember 1730 an bis September 1731 von seinem Wohnort abwesend zu sein. Das
Geld (drei Rubel) für die Reise borgte dem künftigen Gelehrten sein Dorfnachbar.
Unterwegs nach Moskau hat Lomonossow dieses Geld ausgegeben, um sich einen
Halbkaftan zu kaufen. Ein Kaftan ist eine Art der altrussischen
Herrenoberkleidung. Unter starken Frosten und Hunger leidend, im Pferdeschlitten
des Fischzuges schlafend, fuhr Lomonossow drei Wochen lang (!) von seinem
Heimdorf nach Moskau. Die erste Nacht in Moskau musste Lomonossow in demselben
Bauernschlitten schlafen.
Bereits in jener Zeit gab es in Moskau mehrere Lehranstalten
sowie Hoch - und Mittelschulen. Anfangs wollte Lomonossow die
Mathematisch-navigatorische Schule besuchen. Hier wurden verschiedene Fächer
unterrichtet, wie Lesen und Schreiben, Arithmetik, Geometrie, Trigonometrie und
deren praktische Anwendungen in Geodäsie, Schifffahrt, Astronomie und andere.
Der Lehrkursus dieser Schule enthielt nicht die lateinische Sprache, welche
damals als die internationale Wissenschaftssprache galt. Für Lomonossow war
klar, dass er ohne Latein keine gute Ausbildung erzielen kann. Deshalb hatte er
Mitte Januar 1731 einen Aufnahmegesuch in die Slawisch-griechisch-lateinische
Akademie eingereicht.
An dieser Stelle möchten wir einige Informationen über diese
Lehranstalt geben. Die 1685 aus dem Sakonospasskij Kloster heraus gegründete
Slawisch-griechisch-lateinische Akademie war eine geistliche Hochschule, die bis
zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als allgemeinbildende Schule
funktionierte und die Beamte für staatliche Institutionen ausbildete. Diese
Akademie hatte eine große Rolle in der Entwicklung der Kultur und der Aufklärung
in Russland gespielt. In höchster Blüte war die Akademie unter Peter I., als sie
zum größten Aufklärungszentrum des Landes wurde. Die nach dem Tode Peters I.
(1725) begonnene Reaktion hatte auf die Aufklärung und auf die Arbeit der
Lehranstalten einen verderblichen Einfluss ausgeübt.
Die Gegner der petrinischen Umgestaltungen strebten danach die
Slawisch-griechisch-lateinische Akademie in eine ausschließlich geistliche
Bildungseinrichtung zu verwandeln. In die Akademie durften nur die Kinder der
Geistlichen immatrikuliert werden. Anfang der 30er Jahre aber verminderte sich
die Zahl der Schüler einschneidend. Der Rektor war gezwungen den Akademiebestand
mit den Kindern von Geistlichen der untersten Dienstränge und der Rasnotschinzy
(Vertreter unterschiedlicher „Ränge“) zu ergänzen. Nur Kinder von Bauern wurden
nicht akzeptiert.
Deshalb musste Lomonossow beim Eintritt in die Akademie seine
Herkunft verheimlichen und sich als Sohn eines Adligen vorstellen. Obwohl
Lomonossow gut lesen und schreiben konnte und Grundlagen der Arithmetik kannte,
ist er in die unterste Klasse gekommen. Der Grund hierfür war es, dass das
Hauptlehrfach der Anfangsklassen die lateinische Sprache war, in der Lomonossow
damals keine Kenntnisse besaß. Mit Lomonossow, der bereits 19 Jahre alt war,
saßen deutlich jüngere Schüler in derselben Klasse. Klar, dass es ohne Spott und
Hohn hier nicht abgegangen war.
Aber angeborener Verstand und erstaunlicher Fleiß erlaubten
dem künftigen Gelehrten, zum Ende des ersten Lehrjahres den Kursus der drei
untersten Klassen zu absolvieren und in die vierte Klasse versetzt zu werden.
Man muss bemerken, dass der ganze Akademiekursus für dreizehn Jahre vorgesehen
war und auf acht Klassen aufgeteilt wurde.
Während des Studiums an der Slawisch-griechisch-lateinischen
Akademie erlebte Lomonossow viele Schwierigkeiten. Die Akademie
(gemeinsprachlich "die Spasskije Schulen" genannt) verfügte für keine Internate.
Die Schüler mieteten kleine Winkel in der ganzen Stadt. Dabei erhielten sie ein
miserables staatliches Gehalt. Durch seine Landsleute, die Pomoren, hatte
Lomonossow mit seinem Vater die Verbindung wiederaufgenommen.
Der Vater bestand auf der Rückkehr seines Sohns und versuchte
ihn zu überreden mit dem Lernen Schluss zu machen, die väterliche Wirtschaft zu
übernehmen und eine eigene Familie zu gründen. Doch keine Überredungen und keine
Schwierigkeiten konnten die feste Entscheidung des jungen Mannes erschüttern.
Eine gute Ausbildung zu erhalten - nur das war sein Ziel.
Sich dieser Periode seines Lebens erinnernd schrieb 1753
Lomonossow an den Grafen Iwan Schuwalow: "... ein Altyn (3 Kopeken - W.K.) pro
Tag habend, konnte man nicht mehr als eine Deneshka (eine halbe Kopeke -W.K.)
für das Brot und eine Deneshka für den Kwaß ausgeben, das übrige für Papier,
Schuhe und andere Bedürfnisse. Solcherweise lebte ich fünf Jahre lang und hörte
mit meinem Unterricht nicht auf."
In seiner freien Zeit las Lomonossow die Bücher und Chroniken
in der Klosterbibliothek. Das Studium uralter slawischer Literatur zeigte ihm
die Schönheit und die Größe der Muttersprache und brachte ihm die Liebe zur
vaterländischen Geschichte. Im Laufe seiner Lehrzeit wuchs sein Interesse für
die Wissenschaften. Er hat sich Latein angeeignet. Er las griechische Literatur,
erlernte die Theorie des Dichtens (Versbaus) und die Grundlagen der Rednerkunst.
Er bekam gründliche Kenntnisse in Arithmetik, Geographie und lernte die besten
Muster der antiken Literatur sowie der lateinischen und russischen Poesie
kennen.
Im vierten Lehrjahr wollte Lomonossow an der
wissenschaftlichen Expedition nach Mittelasien teilnehmen, um seine Fähigkeiten
und das Erlernte in praktischer Tätigkeit anzuwenden. Die Expedition wurde 1734
vom bekannten russischen Geographen I. Kirilow vorbereitet.
Ihr Ziel war die Erkundung und Erschließung der
Transkaspischen Steppen. Aber der Wunsch von Lomonossow konnte nicht
verwirklicht werden, da man für die Expedition einen "gelehrten Geistlichen"
brauchte. Den Geistlichenrang hatte Lomonossow als Sohn eines Bauers nicht.
Nach dem erfolglosen Versuch ein selbstständiges Leben zu
beginnen, entschloss sich Lomonossow nach Kiew zu fahren um seine Kenntnisse in
Philosophie, Physik und Mathematik zu ergänzen, denn das Unterrichtsniveau
dieser Lehrfächer in der "Spasskije Schule" war unbefriedigend. In der Kiewer
geistlichen Akademie aber unterrichtete man die Naturwissenschaften aber nicht
besser als in Moskau. Auch hier in Kiew wurden alle Naturerscheinungen unter den
scholastisch-religiösen Ansichten und Einstellungen ausgelegt. Lomonossow kehrte
nach Moskau zurück und setzte das Studium in der „Spasskije Schule“ fort.
Im Dezember 1735 geschah ein sehr wichtiges Ereignis im Leben
Lomonossows. Unter den zwölf besten Zöglingen der
Slawisch-griechisch-lateinischen Akademie wurde Lomonossow zur Petersburger
Akademie der Wissenschaften für die weitere Ausbildung geschickt.
Hier in der Petersburger Akademie zeigte Lomonossow von ersten
Lehrstunden an das große Interesse für Wissenschaften. Er begann Mathematik und
angewandte Physik zu studieren und setzte das Erlernen des Dichtens fort. Der
Fleiß und ernstes Verhalten zur Wissenschaft zeichneten Lomonossow unter allen
Studenten aus. Die Schicksalsfügung aber war so, dass Lomonossow lediglich acht
Monate Student der Petersburger Akademie der Wissenschaften war. Doch was war
geschehen?